Der Zungenkuss

 

Du sitzt bei mir. Ich tue so, als ob ich etwas tue:

Dreh' mir 'ne Kippe, hüstle, schau' auf's Handy dann und wann.

Doch eigentlich schau' ich dich aus dem Augenwinkel an

und ahne, wie du mich fixierst – in aller Seelenruhe.

 

Tatsächlich! Da ich meinen Kopf in deine Richtung neige,

bin ich perplex: Es strömt dein warmes Lächeln in mich ein.

Du hältst den Blick. Ich schaue weg. Und nippe an dem Wein.

Dann schau ich wieder hin. Läch'le zurück. Und schweige.

 

Nun gut: Ich nehm' dein Augenspiel beim Wort und deine Hände.

Und streiche mit den Fingerkuppen über deine Haut.

Die Härchen stell'n sich leise auf. Die Zeichen werden laut,

denn deine stummen, leicht gewölbten Lippen sprechen Bände.

 

Ok, ok. Welch Narr, der sich dies zweimal sagen ließe.

Ich zieh dich an mich ran und rücke somit zu dir auf.

Und du? Du stößt dich von mir ab ... und setzt dich auf mich drauf!,

wodurch ich, eins und eins zusammenzähl'nd, auf Weit'res schließe.

 

Und da jetzt deine langen Haare ins Gesicht dir fallen,

streich' ich sie wie Gardinen auseinander und berühr'

behutsam deine Wangen. Ich bin maximal bei dir,

als deine Fingernägel sich in meine Schultern krallen.

 

Ja, beinah ist's, als hätte die Ekstase einen Zünder,

als brenne eine Lunte zwischen Zärtlichkeiten ab.

Die Funken sprüh'n. Ich schau zu dir herauf. Du schaust herab.

Und da: Der große Knall! Denn es berühr'n sich uns're Münder!

 

Zunächst sind's Lippen nur, die küssend aneinanderhängen,

die sich noch, wie im Dunkeln tappend, vorsichtig erfühl'n

und sich dann, völlig losgelassen, ineinand' verwühl'n -

bis schließlich auch die Zungen schlängelnd aus den Höhlen drängen

 

und suchend, fordernd, lockend, leckend, tosend sich umkosen.

Was ist das schön, wenn Speichel sich im großen Stil vermischt

und deine Zunge kurz nur über meine Lippen wischt,

wenn uns're Nasen hin und wieder zart zusammenstoßen.

 

Wir sind berauscht. Und atmen schnell. Und stöhnen auch ein bisschen.

Du streifst mir mit dem Mund über die Wange bis zum Ohr

und dringst, zunächst am Läppchen knabbernd, bis zur Muschel vor.

Ich grinse kurz. Und setz' in deinen Nacken kleine Küsschen.

 

Wir sind so sehr dabei. O du benebelst meine Sinne:

Ich höre, rieche, taste, schmecke und ich seh' nur dich.

Mehr brauch' ich nicht, denk' ich. Und leg' die Hände vorsichtig

umrahmend um dein Angesicht. Dann halten wir kurz inne.

 

Und schau'n uns, voneinander überwältigt, in die Augen:

Ich glaub', dein Blick geht über bloße Sympathie hinaus.

Dann ruh'n wir uns're Stirnen kurz nur aneinander aus -

bis du beginnst, an meinem Zeigefinger zart zu saugen!

 

Und das ist auch der Punkt, an dem es kippt: Jetzt gibt’s kein Halten

und kein Zurück! Verstand und Demut werden einerlei,

denn setzt die Körperreibung derlei Energien frei,

wie wenn Protonen fusionier'n und sich Atome spalten!

 

Wir sind so eng umschlungen, sind wie viele Geistesblitze

zum heft'gen Wetterleuchten über'm Horizont geballt.

So treiben wir es, wie Naturgewalten, auf die Spitze

und fallen dann befriedet ein. Du schaust mich an, ich schwitze.

So liegen wir zusammen hier und sind ganz schön verknallt.